Kommunale Familie wehrt sich geschlossen dagegen, die Betreuung junger Menschen an die Bundesagentur für Arbeit zu verlieren – Sozialdezernentin Simmler: „Fatale Auswirkungen“

Auf dem Papier klingt es erst einmal nicht schlecht: Der Bund spart 1,4 Milliarden Euro Steuern beim Bürgergeld, indem er Leistungsberechtigte zwischen 15 und 25 Jahren nicht länger von den 400 deutschen Jobcentern, sondern ab dem 1. Januar 2025 von der Bundesagentur für Arbeit (BA) betreuen lässt. Diese finanziert sich bekanntlich aus Sozialversicherungsbeiträgen. Daher ist die vermeintliche Ersparnis Augenwischerei: Was der Staat an der einen Stelle einspart, gibt er an der anderen Stelle wieder aus – vermutlich sogar noch mehr – finanziert durch die Beitragszahler der Arbeitslosenversicherung. Das trifft im Main-Kinzig-Kreis und in vielen weiteren hessischen Landkreisen auf breite Ablehnung.

„Das ist finanztaktischer Etikettenschwindel, um die Neuverschuldung des Bundeshaushalts zu drosseln. Aber viel schlimmer sind die langfristigen verheerenden Folgen für die Jobcenter“, kritisiert Susanne Simmler, Erste Kreisbeigeordnete des Main-Kinzig-Kreises und Vorsitzende des Gemeinsamen Ausschusses der Hessischen Kommunalen Jobcenter. „Per Federstrich nimmt man den Jobcentern die Befugnis, sich um jugendliche Arbeitsuchende umfassend zu kümmern.“ Über zwei Jahrzehnte aufgebaute Kompetenzen, lokale Netzwerke und gefestigte Beziehungen würden damit über Nacht obsolet werden. „Die Beschäftigten in den Jobcentern arbeiten mit Herzblut und Kreativität mit jedem jungen Menschen, ganzheitlich, zielorientiert und aus einer Hand. Der Mensch ist hier nicht nur ein Fall oder eine Nummer. Aber jetzt werden den jungen Menschen echte Brocken in den Weg geräumt mit fatalen Auswirkungen für gerade die, um die es geht.“

In der Bundesagentur für Arbeit (BA) gibt es für die Betreuung von unter 25-Jährigen bislang weder personelle Ressourcen noch Erfahrung oder Fachwissen. Es dränge sich der Verdacht auf, so Simmler im Namen der 16 hessischen Optionskommunen, dass das Finanzministerium die personellen Möglichkeiten und fachlichen Fähigkeiten der BA völlig falsch einschätze. Schon jetzt gebe es von der Spitze der Bundesagentur laut vernehmbare Signale der Überforderung und den Wunsch nach einer Rücküberführung von Zuständigkeiten an andere Ebenen und ins Dezentrale. „Ich finde es bemerkenswert, dass sich die Bundesagentur selbst gar nicht für die Aufgabe aufdrängt. Die Pläne der Bundesregierung folgen also keiner fachlichen Empfehlung, keiner arbeitsmarktpolitischen Strategie, keinem langfristigen Vorteil. Es geht einzig und allein um Haushaltskosmetik für Kurzsichtige. Leider geht das komplett zu Lasten von benachteiligten jungen Menschen“, moniert Susanne Simmler.

„Das Vorgehen der Bundesregierung ist ebenso unerwartet wie enttäuschend. Finanztaktik darf aus unsere Sicht nicht zu Lasten der Zukunft junger Erwachsener gehen“, stellt Susanne Simmler fest. Als Vorsitzende des Gemeinsamen Ausschusses der Hessischen Kommunalen Jobcenter spricht sie auch für ihre hessischen Kolleginnen und Kollegen. Gegen die „urplötzliche und einseitige Entscheidung des Bundes“ rege sich nicht nur in Hessen sondern deutschlandweit Widerstand. Alle Bundesländer, Personalräte, die Gewerkschaften: Alle sprechen sich scharf dagegen aus und prüfen, ob im Anbetracht der Tragweite von Verfassungsrang dem Bundesrat ein Zustimmungsrecht zusteht.

„Die gravierenden Mittelkürzungen im Bundeshaushalt sind absolut problematisch“, erläutert Susanne Simmler. „Sie werden dazu führen, dass gerade kleinere Jobcenter immer weniger arbeitsmarktpolitische Angebote oder berufsvorbereitende Qualifizierungen finanzieren können, weil sie ihre Kosten nicht ad hoc reduzieren können. Insgesamt wird wahrscheinlich das Netzwerk an begleitenden Angeboten weniger und damit zu Lasten der Menschen schlechter.“ Der Main-Kinzig-Kreis befürchtet einen Domino-Effekt, der dazu führe, dass Träger beziehungsweise Anbieter von Maßnahmen insolvent gehen könnten und am Ende für alle Bürgergeldbeziehenden sich die Rahmenbedingungen verschlechterten.

Auch gemeinnützige Organisationen wie Tafeln oder Tierheime würden die Folgen zu spüren bekommen, wenn die Jobcenter kaum noch Arbeitsgelegenheiten bewilligen könnten. „Es ist uns als Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker absolut unverständlich, wie diese Entscheidung zum Geist des Bürgergeldes passen soll, der doch gerade für ein Mehr an Qualifizierung, umfassender Beratung auf Augenhöhe und nachhaltiger Entwicklung des Einzelnen verspricht“, so die Erste Kreisbeigeordnete, die auch Verwaltungsratsvorsitzende des Kommunalen Centers für Arbeit im Main-Kinzig-Kreis und somit des hiesigen Jobcenters ist. Gerade benachteiligte junge Menschen bräuchten mehr Begleitung und Beratung, bevor sie eine Ausbildung beginnen oder auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können. Das notwendige Instrumentarium hat der Bundesgesetzgeber den kommunalen Einrichtungen gerade erst gegeben.

„Am Ende dieser Entwicklung steht das Aus der Jobcenter in Deutschland, das sollte allen klar sein. Der Bund läutet das Ende der Jobcenter hiermit ein“, befürchtet Susanne Simmler. „Damit gibt es dann aber auch keine flexiblen Krisenmanager mehr. Die Jobcenter waren es in der Corona-Pandemie und nach Ausbruch des Ukraine-Krieges, die schnell, flexibel und im Sinne der Menschen agiert haben. Diese Struktur ist dann zerstört.“

Was 2005 als flexible, bürgernahe und vor allem lokal verankerte Reform begann, um das starre und aus der Zeit gefallene Bundessozialhilfegesetz sowie die Arbeitslosenhilfe abzulösen, droht nun zu einer kompletten Rolle rückwärts zu werden, schätzt die Kreisspitze. Wer die Jobcenter zu reinen Auszahlungsstellen degradiere, brauche sich nicht zu wundern, wenn das zu Lasten der Arbeitsuchenden vor Ort gehe. „Bei allem Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen der Bundesagentur für Arbeit, aber Berufsberatung in der Oberstufe ist eben doch etwas anderes als umfassende Sozialarbeit und Orientierung in einem herausforderungsvollen Umfeld von multipel benachteiligten Jugendlichen“, so Simmler.

Die Hessischen Kommunalen Jobcenter üben den solidarischen Schulterschluss mit dem Deutschen und dem Hessischen Landkreistag, dem Deutschen und dem Hessischen Städtetag sowie auch den zahlreichen Jobcentern, die in gemeinsamer Trägerschaft von Kommune und örtlicher Arbeitsagentur (GE) stehen. Sie appellieren an die deutsche Bundesregierung sowie an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, „diese kurzsichtige und rücksichtslose Entscheidung“ zu korrigieren. „Spart nicht an der Zukunft unserer Jugend“, appelliert Simmler.